Fokus für geistige Arbeit schaffen!

Mehr Deep Work

Ich sitze das erste Mal in meinem Leben an einem Bandschleifer. Die Maschine ist wohl älter und größer als ich. Wenn ich mich jetzt ungeschickt anstelle, versaue ich den Holzgriff meines Messers, das ich in diesem Workshop baue. Wenn ich noch etwas ungeschickter bin, kann ich mich ernsthaft verletzen. Zwischen der Haut meiner geliebten Finger und dem rasenden Schleifpapier liegt nur meine Aufmerksamkeit.

Ich bin voll da. Ich muss niemanden etwas beweisen. Jede unnötige Anspannung, Hast oder innere Ablenkung schadet. Nur so kann ich auf meine überschaubaren Fertigkeiten zugreifen.

Jede Bewegung ist ein kleines Abenteuer. Schnell gewinne ich ein erstes Gefühl für Bewegungen und Arbeitsweise. Mein Geist lenkt meinen Körper, nimmt unmittelbar die Effekte wahr und entwickelt das Gefühl weiter.

Diese mir fremde Arbeit ist sehr befriedigend. Ich möchte einfach an der Maschine sitzen bleiben und weiter Holz bearbeiten. Leider ist der Arbeitsschritt getan.

Ich befinde mich in einer historischen Schleiferei. Hier haben mehr als drei Jahrhunderte lang Messer- und Scherenschleifer ihr Handwerk betrieben – angetrieben durch die Wasserkraft der Wupper. Ihre meisterhaften Fertigkeiten hatten die Schleifer durch unzählige Stunden fokussierter Arbeit erworben. Eine Arbeitsweise, die mir als heutigen Kopf-Arbeiter auch sehr nützen könnte.

Meine Fähigkeit, stundenlang konzentriert und vertieft an einer Sache zu arbeiten, war in meiner Jugend sehr ausgeprägt. Es gab kein Internet, kein Handy. In meinem Zimmer standen weder Fernseher noch Telefon. Und als eher introvertierter Mensch brauchte ich nicht viel von der Welt, um kreativ vor mich hin zu werkeln. Heute beneide ich mein jüngeres Ich um diese Fähigkeit. Ich benötige sie dringend zurück.

Die typischen Bedingungen unserer Arbeitswelt heute verhindern fokussierte, tiefe geistige Arbeit. Ständige Themenwechsel, Unterbrechungen, Mails und Messenger, Zeitdruck, mediale Ablenkungen, Erreichbarkeitswahn, unnötige Einbeziehung in irrelevante Themen…

Wir brauchen heute für viele Probleme dringend durchdachte Lösungen, aber nehmen uns nicht mehr die Zeit zum Denken. Tiefe Arbeit, auch Deep Work genannt, geht nicht in 30 Minuten zwischen zwei Meetings oder mit zig Unterbrechungen. Ähnlich wie die Messerschleifer ihre körperlichen Fertigkeiten über lange Zeit perfektionierten, benötigen wir regelmäßig fokussierte Zeit, um unseren Geist in tiefem Arbeiten zu üben.

Daher plane ich bewusst längere Zeitblöcke für ungestörtes Monotasking ein und versuche, alle Ablenkungen abzustellen. Eine sehr harte Übung. Schwer zu verteidigen, schwer durchzuhalten. Aber lohnend, wenn sie gelingt.

Bei uns Organeers führen wir mehrtägige Fokuszeiten durch, um in kleinen Teams konzentriert interne Projekte voranzutreiben. Das funktioniert schon ganz gut.

von Philipp Simanek

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